Fast den Jahrestag von diesem Artikel (08.07.2016) erwischt! Ist zwar etwas älter, aber dennoch interessant.
Wenn Herbert Wedel sich auf sein Fahrrad setzt und in den Urlaub fährt, dann hat er sein Zweimeterbett und seine Küche dabei. Er sitzt im Liegestuhl, hat ein Sonnendach über dem Kopf und einen Rückspiegel wie im Auto. Der freundliche Herr aus Wittenberge hat sich ein Liegerad-Wohnmobil aus Aluminiumprofilen und Holz gebaut. Mit ihm zusammen wiegt das Gefährt 200 Kilogramm. Am Donnerstag ist der 75 Jahre alte Wittenberger in der Elbestadt gestartet und 95 Kilometer weit bis Molchow bei Neuruppin gefahren. 9 Uhr Abfahrt, Ankunft 21 Uhr.
Der Schneck am Heck
„Ich bin halt nicht so schnell“, sagt er und hat wie zur Entschuldigung eine große Schnecke aus Papier ausgeschnitten. Den Schneck klebte er seinem Gefährt gut sichtbar ans Heck. Zwölf Stunden mit Mittagspause für 95 Kilometer sollen nicht schnell sein, wenn das Fahrrad 200 Kilo wiegt? Manch Jüngerem würde da wohl eher die Puste ausgehen. Herbert Wedel wirkt topfit. Er hat sich die Badewiese in Molchow als Nachtquartier ausgeguckt. Ganz allein genießt er dort die Stille, während alle anderen Fußball gucken. Zwei Handgriffe an seinem Eigenbau, und schon klappt die Holzkiste auf, gibt den Blick frei auf eine Matratze mit geblümtem Laken und Lebensmittelvorräte, die zusammen mit dem Gaskocher sorgsam in kleinen Fächern verstaut sind. Kein Zelt aufbauen, trotzdem ein Dach über dem Kopf, eine Hütte am See und die Badewanne direkt vor der Tür – freier kann ein Mann kaum sein. „Meine Frau lässt mich losziehen“, sagt Herbert Wedel. „Sie weiß, ich werde dadurch ruhiger.“ Am Freitag fuhr er von Molchow nach Lindow weiter, um dort seinen Sohn zu treffen. Mit dem Handy ruft er abends bei seiner Frau an, um zu sagen, dass er heil angekommen ist.
Gebaut und getüftelt wird im Winter. Den Antrieb hat Herbert Wedel aus Fahrradteilen zusammengeschweißt. Sein Wohnmobil hat Vorderradantrieb mit einer Kettenschaltung. Nabenschaltungen haben sich als zu schwach erwiesen. Und die Edelexemplare waren dem Wittenberger zu teuer. Damit das Gefährt nicht noch schwerer wird, setzt der 75-Jährige konsequent auf Leichtbau: den Lattenrost für sein Bett hat er aus Schnüren geflochten. Ob er Ingenieur ist? Herbert Wedel lacht. Nein, Pastor in einer Baptistengemeinde sei er gewesen. Neuruppin und Umgebung kennt er gut.
Von 1975 bis 1985 hat er mal in der Fontanestadt gelebt. Heute ist Wittenberge seine Heimat. Natürlich zeigt er sich auch mal bei der Tour de Prignitz. Ob es nicht lästig ist, dass ihn dauernd jemand auf sein Fahrrad anspricht? „Das macht nichts“, sagt er und gibt mit einem verschmitzten Lächeln zu: „Ich will ja auch ein bisschen angeben.“ Der 75-Jährige ist durchaus stolz auf seine Konstruktion. Um im Pulk mitzufahren wie bei der Tour de Prignitz, dafür ist sein breites Wohnmobil aber nicht wirklich geeignet. Auch die Planer der engen Gitter am Anfang und Ende vieler Radwege haben nicht wirklich an Fahrräder mit Anhänger oder Gefährte wie das von Herbert Wedel gedacht. In der Bahn oder im Flugzeug mitnehmen kann er sein Fahrrad nicht. Wenn Herbert Wedel also sagt, dass er mit seinem Wohn-Velo schon in Dänemark, Italien und Rumänien war, dann heißt das auch: selbst dort hingestrampelt. Natürlich ohne Hilfsmotor.
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